Interview mit Dr. Host Köhler

Veröffentlicht: Freitag, 20. September 2013

Unterwössen. Als jetzt der ehemalige Bundespräsident Professor Horst Köhler der Grund- und Mittelschule Unterwössen seinen Besuch abstattete, war er eigentlich gekommen, den Schülerfilm anzusehen. Als er sich zusammen mit seiner Ehefrau Eva Luise über diesen kräftig amüsiert hatte, überraschte er die Schüler der älteren Klassen, die dabei waren. Sein Angebot: "Wenn Ihr wollt, ihr Fragen habt, könnt ihr mir die jetzt stellen!" Und schon ging es los. Was da so völlig unvorbereitet an Schülerneugier losbrach und zu einer spannenden Fragestunde führte, stellte manche Talkshow im öffentlichen Fernsehen in den Schatten.

Horst Köhler als Bundespräsident

Wie sind Sie Bundespräsident geworden?

Im Februar 2002, wir lebten damals in Washington, erhielt ich einen Anruf von der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie fragte mich, ob ich mir nicht vorstellen könne, Bundespräsident zu werden. Am Ende des langen Telefonats sind wir so verblieben, dass ich mir das überlegen sollte. Das war natürlich eine große Ehre für mich, für dieses Amt kandidieren zu dürfen. Und so habe ich "Ja" gesagt.

Wie viele Stimmen haben sie bekommen?

Das weiß ich nicht mehr. Ich war sechs Jahre Bundespräsident. Der Bundespräsident wird für vier Jahre gewählt. Ich bin noch einmal wieder gewählt worden. Bei der Bundespräsidentenwahl kann es zu drei Wahlgängen kommen, ehe der neue Bundespräsident feststeht. Ich weiß noch, dass es bei meiner letzten Wahl nur einen einzigen Wahlgang gegeben hat. In dem habe ich die absolute Mehrheit an Stimmen erhalten. Absolute Mehrheit bedeutet, mehr als die Hälfte aller möglichen Stimmen. Die und noch einige mehr fielen im ersten Wahlgang auf mich.

Wie ist das eigentlich so als Bundespräsident?

(Köhler lacht) Unter uns gesagt: Nicht schlecht! Ich bin sechs Jahre Bundespräsident gewesen und dadurch überallhin gekommen. Es ist einfach schön, so viel Kontakt zu vielen und auch völlig fremden Menschen zu bekommen. Das habe ich sehr gemocht.

Waren Sie schon einmal im Weißen Haus?

Ja, im Weißen Haus war ich schon. Aber das ist etwas ganz anderes als in Deutschland. Der Bundespräsident in Deutschland repräsentiert die Bundesrepublik, vertritt also den Staat nach außen. Macht, wie man so sagt, hat der Bundespräsident eigentlich nicht. Regiert wird die Bundesrepublik von der Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Bundeskabinett und auch dem Bundestag. Ein Bundespräsident hat da andere Aufgaben. Er unterschreibt zum Beispiel die Gesetze, damit die in Kraft treten. Ein amerikanischer Präsident hat die volle Regierungsmacht.

Treffen Sie die anderen Bundespräsidenten?

Ja, mit meinen Amtsvorgängern habe ich noch regelmäßigen Kontakt. Vor allem mit den Altbundespräsidenten Roman Herzog und Karl Friedrich von Weizsäcker treffe oder bespreche ich mich regelmäßig. Mit Walter Scheel eher unregelmäßig.

Warum sind sie zurückgetreten?

Das ist eine schwierige Frage, von der ich nicht weiß, ob ich Euch das hier so einfach vermitteln kann. Ich gebe Euch einmal die Antwort, die ich in letzter Zeit schon häufiger darauf gegeben habe.

Als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland steht man dort nicht als Privatperson, sondern der Bundespräsident steht für sein Amt. Dieses Amt soll etwas aus dem politischen Alltag herausgehoben sein. Nach einem Afghanistanbesuch bei den dortigen deutschen Soldaten warfen mir parteipolitische Sprecher vor, ich würde eine Kanonenbootpolitik betreiben. Kanonenbootpolitik ist ein Begriff aus der Kolonialzeit als damalige Staatsführer ihre Schiffe in ihre damaligen Kolonien schickten, um damit Handelsinteressen zu wahren. In den Äußerungen der Sprecher sah ich den Versuch, mich als Werkzeug in den politischen Auseinandersetzungen zu benutzen. Weil ich und meine Berater befürchteten, dass dies auf Dauer den Respekt vor dem Amt und letztlich das Amt des Bundespräsidenten beschädigen würde, bin ich zurückgetreten. Die Entscheidung habe ich mir keinesfalls leicht gemacht.

Leben heute

Warum sind sie nach Unterwössen gekommen?

Meine Frau und ich haben schon an vielen Orten gelebt. Gemeinsam haben wir aber immer die Berge geliebt. Wir suchten etwas als zweiten Wohnsitz, weg vom täglichen Geschäftsbetrieb in Berlin. Wir haben im gesamten Alpenraum gesucht. Aber den Chiemgau schon immer schön gefunden. Wir haben uns von Garmisch-Partenkirchen, Oberstdorf bis Reit im Winkl umgesehen. Auch anderswo im Chiemgau. Der Chiemgau hat den Vorteil, dass er eine schöne Mischung aus Bergwelt und Seen bietet, dazu für mich recht verkehrsgünstig liegt. Und dann ist es reines Glück gewesen, dass wir dieses Objekt der Barmherzigen Schwestern in Unterwössen gefunden haben. Jetzt wohnen wir hier am Bichlhof. Über Weihnachten kommt die ganze Familie einschließlich der Enkel. Es wird voll, aber schön werden.

Werden sie auf der Straße angesprochen?

Ja, eigentlich immer. Weil das aber bisher in meinem Leben immer sehr freundlich geschehen ist, habe ich da gar nichts gegen. Und auch wenn ich jetzt in Unterwössen zum Einkaufen gehe, sprechen mich die Leute immer an. Viele sind dann überrascht, weil meine Frau und ich eigentlich ganz normale Menschen sind. Das möchten wir auch bleiben. Hinderlich ist manchmal, wenn ich in der Loipe unterwegs bin und mich alle 5 m jemand anspricht. Da komme ich nicht so recht in Schwung.

Haben Sie noch ein eigenes Haus?

Nein, ein Haus haben wir nur hier, den Bichlhof. In Berlin haben wir eine Wohnung im vierten Stock. Vierter Stock ist ganz schön, weil man da vom Straßenlärm nur wenig mitbekommt. An der Wohnung mag ich, dass sie so zentral gelegen ist und wir vieles in der Stadt unmittelbar erreichen können.

Und hier in Unterwössen habe ich dann den Bichlhof. Das ist ein Haus, wie wir es uns immer gewünscht haben. Am wichtigsten ist mir das wunderschöne Arbeitszimmer, in dem auch schon der Papst gewohnt hat. Und dann liebe ich, an dem Haus, dass wir darin die ganze Familie unterbringen können mit Kindern und Enkelkindern. Dann ist es zwar voll, aber das passt schon.

Wie viel Geld haben Sie?

(Köhler lacht) Viel Geld habe ich bestimmt nicht. Aber ich bin bei dem Thema immer etwas vorsichtig. Natürlich gibt es viele Menschen, die sehr wenig haben und Schwierigkeiten, damit auszukommen. Daran gemessen habe ich viel. Andererseits gibt es doch sehr viele, die deutlich mehr haben. Eigentlich ist mir – und das möchte ich auch Euch auf den Weg geben - vor allem wichtig, dass jeder genug zum Leben hat. Es kann ruhig sein, dass einer mehr, als der andere hat. Aber jeder sollte für seine Arbeit auch ein vernünftiges Auskommen haben. Wir sollten alle darauf achten, dass der Unterschied zwischen den Ärmeren und den Reichen nicht zu groß wird.

Haben Sie einen Privatjet wie Ihnen im Schulfilm angedichtet wird?

(Köhler lacht.) Nein. Bundespräsidenten haben keinen Privatjet und ich bin ja auch kein Bundespräsident mehr. In der Bundesrepublik ist das so, dass in der Bundeswehr die Flugbereitschaft des Bundesministeriums für Verteidigung mehrerer Flugzeuge, darunter sehr große aber auch kleinere Jets bereit hält. Der kleinste hat so acht Sitze. Auf diese Flugzeuge können die Bundeskanzlerin, ihre Regierungsmitglieder und auch der Bundespräsident Gauck zurückgreifen, wenn Sie reisen müssen. Und die müssen viel reisen, sind immer unterwegs.

Und ich bin ja nun nicht mehr Bundespräsident. Ich fliege jetzt wie jeder andere mit und ein ehemaliger Bundespräsident soll sich ruhig einmal - wie jeder andere auch - anstellen.

Was fahren Sie für ein Auto?

Es ist das Privatauto meiner Frau. Es ist eine Mercedes M Klasse, mit dem wir heute auch hierhin gekommen sind. Das Fahrzeug ist schon 13 Jahre alt. Wir hatten es uns damals gekauft, als wir in den USA lebten. Da fuhr und fährt man allgemein etwas größere Autos. Das Auto ist natürlich ein Spritfresser aber andererseits: wir fahren eigentlich sehr wenig.

Haben Sie hier in Ihrem Haus in Unterwössen einen Hausmeister?

Nein, mein Hausmeister bin ich selbst.

Haben Sie Angestellte?

Ob ich Angestellte habe? Versteht mich nicht falsch, aber meine einzige Angestellte ist meine Frau, und dann wieder bin ich ihr Angestellter.

Was halten Sie vom Unterwössner Hallenbad?

Ja, das Thema hat mich auch schon erreicht. Aber das ist nicht so, dass ein ehemaliger Bundespräsident so etwas richten kann. Darum kümmert sich die Gemeinde und der Gemeinderat. Das alles muss sehr sorgfältig abgewogen werden. Und ich weiß nicht, ob man das finanziell richten kann. Wenn es bestehen bliebe, würde mich das sehr freuen.

Der Mensch Horst Köhler

Wie alt sind Sie?

Ich bin 69 Jahre alt

Wie alt ist Ihre Frau?

Da ließ Herr Köhler seine Frau selbst antworten. Marie Luis Köhler meinte: Ich erreiche jetzt in Kürze die Grenze aus dem Lied von Udo Jürgens. "Mit 66 fängt das Leben erst an."

Was ist Ihre Frau von Beruf?

Da lassen wir sie mal selbst antworten, wandte sich Köhler wieder schmunzelnd an seine Frau. Marie Luise Köhler stand auf, wandte sich schmunzelnd der Klasse zu und berichtete, dass sie früher Lehrerin gewesen sei.

Sie sind vertrieben worden?

Meine Vorfahren kommen ursprünglich aus Moldawien. Sie waren ehemals Bauern in Deutschland, sahen aber hier keine Zukunft mehr. Daraufhin wanderten sie nach Moldawien aus. Sie lebten dort als Deutschsprachige unter Deutschsprachigen. Aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts hatten sie 1940 binnen 24 Stunden das Land zu verlassen. Sie kehrten daraufhin nach Deutschland zurück und kamen zunächst in ein Lager. 1942 wurden sie dann als Bauern nach Polen gezwungen. Ich selbst bin 1943 geboren. 1945 ist dann im Zweiten Weltkrieg meine Mutter mit mir nach Deutschland in die neuen Bundesländer geflohen. Von dort sind wir 1953 aus der damaligen DDR in den Westen gekommen. Von meiner Mutter habe ich gelernt. Die hatte in all den Wirren immer ihre feste Meinung und brachte die auch manchmal nachdrücklich gegenüber Beamten und Politikern zum Ausdruck. Das möchte ich Euch auch mit auf den Weg geben. Das Leben besteht aus Kompromissen. Die sind nicht einfach zu finden. Seid keine Streithanseln. Aber wenn ihr eine eigene Meinung habt, dann vertretet die auch nach außen.

Treiben Sie Sport?

Ja, ich habe mein ganzes Leben lang Sport getrieben und gehe regelmäßig joggen. Jetzt im Winter bin ich oft Langlaufen und habe zwischenzeitlich schon viele Loipen auch in den Nachbarorten erkundet. Ansonsten ist es so, dass ich mich oft meinen Freunden anpasse. Da plane ich dann auch schon mal etwas flachere Touren. Ich war aber auch schon auf der Steinplatte und will auch die anderen Berge hier noch erkunden.

Meine Frau und ich machen regelmäßig das Sportabzeichen. Das haben wir jetzt noch vor einigen Tagen gemacht. Früher habe ich leidenschaftlich gern Fußball und Handball gespielt. Das mache ich heute nicht mehr. Auch Alpinskifahren ist weniger geworden, auch wenn ich das ab und an noch tue. Heute widme ich mich eher dem Langlauf.

Was war in ihrer Jugend Ihr Traumberuf?

Als ich so alt war wie ihr, so 12,13 Jahre, wollte ich Lokomotivführer werden. Dann anschließend habe ich gedacht, dass Ingenieur eigentlich das Richtige für mich ist. Geworden bin ich dann schließlich Volkswirtschaftler, Ökonom, wie man sagt. Damit bin ich eigentlich sehr zufrieden. Ich habe ein abwechslungsreiches Berufsleben gehabt und viele Leute kennen gelernt.

Was war Ihr Lieblingsfach in der Schule?

Köhler nach kurzem Überlegen: Jedenfalls Sport. Ich habe schon immer gerne Sport gemacht und tue das auch heute noch. In Mathe und Physik war ich nicht so gut, erinnerte er sich nachdenklich schmunzelnd, und rief damit das Gelächter seiner Zuhörer hervor.

Ihre Lieblingsfarbe?

Nach etwas Überlegung: Meine Lieblingsfarbe ist – glaube ich – blau.

Haben Sie ein Lieblingstier?

Köhler überlegt eine Weile. Ich habe einmal versucht, Reiten zu lernen. Meine Tochter ritt damals gerne und ich wollte sie gern auf ihren Ausritten begleiten. Das hat jedenfalls so geklappt, dass ich nicht heruntergefallen bin. Und jetzt übernehmen wir hier in Unterwössen bald den Hund meiner Tochter. Ich finde einfach, dass Tiere zu unser aller Leben gehören.

Spielen Sie ein Instrument?

Bei den Pfadfindern habe ich Gitarre gelernt und meine Frau und ich und haben aktiv im Chor und Gesangverein gesungen.

Was hören Sie für Musik?

Heute konzentriere ich mich wesentlich auf klassische Musik und Opern. Doch ab und an mag ich auch Rockmusik.

Sicherheit

Sind Sie schon einmal in gefährliche Situation gekommen?

Nicht, dass ich wüsste. Aber unter uns (Köhler wirft einen fröhlichen Seitenblick auf einen Sicherheitsbeamten.) Die sagen mir auch nicht alles.

Wie ist das, wenn man die ganze Zeit bewacht wird?

Das ist ein schwieriges Thema. Ob ich bewacht werden sollte, entscheidet eine Gefährdungsanalyse des Bundeskriminalamtes. Das erste Mal wurde ich damit konfrontiert, als vor vielen Jahren in meiner Zeit als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ein Dokument der damaligen Baader Meinhof Gruppe gefunden worden war. Darin war ich als mögliches Ziel für Anschläge notiert. Mir ist die Situation damals vom Bundeskriminalamt ausführlich dargestellt worden und am Ende habe ich akzeptiert, dass ich geschützt werden muss. Das hat nicht nur mit mir als Privatperson zu tun, sondern auch damit, dass die Person für Ämter und Positionen der Bundesrepublik Deutschland steht, die vor Angriffen geschützt werden sollen.

Und dann sind da noch die Polizeibeamten, die wie jetzt hier auch, für meine Sicherheit sorgen. Die machen einen tollen Job. Sie haben eine schwierige, vielleicht auch manchmal gefährliche Aufgabe. Da ist es auch eine Frage der Wertschätzung und Respekts, dass ich das zulasse und akzeptiere, dass die für meinen Schutz arbeiten. Da gehört es dazu, zusammen zu arbeiten.

 

Am Ende der Fragestunde sah Bürgermeister Hans Haslreiter, zuvor aufmerksamer Zuhörer, in diesem Morgen einen exzellenten Schultag, an dem alle viel gelernt hätten. "Dieser Tag geht in die Schulgeschichte ein!" Mit der Meinung stand der Bürgermeister nicht allein.

Am Ende verabschiedeten sich die Eheleute Köhler mit einem Weihnachtsgruß an die Schüler und ihre Familien. Sein "Macht's gut und alles Gute", beendete die spannende Fragestunde.